Zur Kulturgeschichte der Orangerien
Beitrag von Claudia Gröschel
Zitrusfrüchte wie Orangen, Mandarinen, Limonen und Grapefruit sind heute als winterliche Vitaminspender in großen Mengen zu geringem Preis in jedem Supermarkt erhältlich. Mit Zitrus und anderen exotischen Pflanzen versuchen viele Hobbygärtner sich südliches Flair in den eigenen Garten zu holen. Der Traum vom Süden im Norden ist jedoch kein Ergebnis unserer reisefreudigen Zeit, in der dank Billigflieger jedes noch so exotische Ziel in greifbare Nähe gerät. Vor über 2000 Jahren, als selbst kurze Reisen noch lebensbedrohliche Abenteuer waren, wurde in Südosteuropa erstmals von einer sagenhaften Frucht berichtet, die immergrün sei und gleichzeitig blühe und fruchte. Es handelte sich hierbei um die aus Asien stammende Zitronat-Zitrone (Citrus medica), die Theophrast, ein Schüler Aristoteles, im Gefolge Alexander des Großen auf dessen Asienfeldzug um 330 v. Chr. in Persien erstmals sah, beschrieb und nach Griechenland mitführte.
Bisher konnten keine Wildformen der Gattung Citrus gefunden werden, die unseren heute bekannten Kulturformen entsprechen. Die Gattung ist äußerst kompliziert, die Arten und Sorten kreuzen sich sehr leicht untereinander. Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Wissenschaftler mit der pflanzensystematischen Ordnung, sichere Arten werden wieder in Frage gestellt, Sorten werden zu Varietäten und umgekehrt. Zu manchen Sorten gibt es über fünfzehn Synonyme. Erst die Genanalyse bringt in jüngster Zeit Klarheit, jedoch vor allem für die modernen Sorten. Von manchen historischen gibt es nur noch wenige Exemplare, gleichzeitig gibt es die in Massen erzeugten Handelssorten. Wie viele es genau sind, kann trotz vieler Forschungsprojekte auf der ganzen Welt keiner genau sagen. Man geht von über tausend aus.
Ihren Ursprung haben die meisten heute bekannten Arten an den Südhängen des Himalaya im heutigen Indien, Myanmar und China, einige kommen aber auch vom malayischen Archipel. Die besonderen Eigenschaften der Zitrus: das immergrüne Laub, das gleichzeitige Blühen und Fruchten, der starke Duft der Blüten aber auch der Blätter und der Fruchtschale aufgrund der zahlreichen Öldrüsen, die intensive Farbe von Laub und Früchten führten zur hohen Wertschätzung der Pflanzen und zum Teil zu kultischer Verehrung.
Bei den Hebräern erlangte eine Varietät der Zitronat-Zitrone, die so genannte Etrog-Zitrone große Bedeutung beim Laubhüttenfest. Im 3. Buch Moses 23,40 werden die Gläubigen aufgefordert, Früchte vom schönen Baum, Palmenzweige und Äste von dichten Bäumen und Bachweiden in den Tempel zu bringen. Waren diese Früchte ursprünglich wahrscheinlich Quitten, so wird vermutlich seit Simon dem Makkabäer (2. Jh. v. Chr.) die Etrog-Zitrone als "Frucht des schönen Baumes" beim Laubhüttenfest verwendet. 200 Jahre später erwähnte der jüdische Historiker Flavius Josephus den "persischen Apfel". Infolge der Zerstörung Jerusalems durch die Römer 70 n. Chr. und der Vertreibung der Juden wurde der Anbau der Etrog-Zitrone in den neuen jüdischen Siedlungsgebieten entlang des Mittelmeeres rasch verbreitet. So fand man in Pompeji Wurzelreste von Zitruspflanzen in mit Löchern versehenen Töpfen.
Von Süditalien gelangten die Zitruspflanzen allmählich immer weiter nach Norden.
Bis auf die Höhe von Neapel können Zitrus ausgepflanzt ganzjährig im Freien kultiviert werden. Weiter nördlich müssen die Pflanzen – bis auf wenige, klimatisch begünstigte Orte – in frostfreien Räumen überwintert und meist in Gefäßen kultiviert werden.
Besondere Bedeutung hatten die Zitruspflanzen in den Gärten der Medici in und um Florenz. Ab den 1440er Jahren sind Zitruspflanzen in den Gärten der Medici nachweisbar. In mehreren Briefen wird von diesen Pflanzen berichtet. 1455 beauftragten die Medici einen Kunstagenten, in Neapel Zitruspflanzen für den Garten in Fiesole zu besorgen. Im April 1482 besuchte der Gelehrte Johannes Reuchlin (1455-1522) auf seiner Reise mit Graf Eberhard von Württemberg nach Rom auch Florenz. Er berichtet von den hängenden Gärten am Medicipalast in der Villa Larga, wo Bäume gepflanzt seien und er den Garten der Hesperiden gesehen habe. Den Höhepunkt fand die Kultur unter Cosimo I. (1519-1574, Großherzog der Toskana), der ab 1537 den Garten der Villa Medici in Castello neu anlegen ließ. Der französische Naturforscher Pierre Belon (1517-1564) berichtete von seinem Besuch der Villa Medici in Castello während seiner Italienreise 1546-1549, dass alle Mauern mit Lorbeer und Zitrus bewachsen seien. Bis heute gibt es im Garten der Villa Medici in Castello die wohl bedeutendste Sammlung historischer Arten und Sorten, mit den ältesten Exemplaren, die zum Teil bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückreichen.
Bei der alten Frage, wann Zitrus erstmals über die Alpen nach Norden gebracht wurde, ist die Unterscheidung zwischen Früchten und Pflanzen wichtig. Die ersten Früchte kamen bereits sehr früh über Klöster und Handelswege über die Alpen nach Mitteleuropa. Die Pflanzen waren ungleich schwieriger zu transportieren und deren erfolgreiche Kultivierung benötigte erfahrene Gärtner. Ein Datum, wann erstmals Zitruspflanzen über die Alpen nach Norden gebracht wurden, ist bisher nur annähernd zu nennen. Karl VIII., König von Frankreich, eroberte 1495 Neapel und war fasziniert von der Kultur am neapolitanischen Hof. Auf seiner Rückreise nach Frankreich nahm er vierundzwanzig Künstler aus Neapel mit, darunter Pasello da Mercogliano, Gärtner und Priester. Mercogliano war in der Folge im königlichen Garten in Amboise tätig, wo er einen Orangengarten anlegte. Neben Kunstschätzen brachte Karl VIII. auch Pflanzen und insbesondere Zitruspflanzen mit nach Frankreich.
Für das Kaiserreich sind die ersten Zitruspflanzen 1535 am Prager Hof nachweisbar. In Wien wurden laut Hofrechnungsbüchern 1542 Pomeranzenpflanzen gekauft. An der Prager Burg hatte man die Pflanzen zunächst in Gefäßen kultiviert und mit Leinwand bedeckt in einem Gewölbe überwintert. Auch in Wien experimentierte man mit Decken und Strohmatten, der Kultivierung in so genannten Pomeranzentruhen, Überwinterung in Kellergewölben und ähnlichen, den Bedürfnissen der Pflanzen wenig entsprechenden Methoden. 1549 pflanzte man in Wien schließlich die Zitrusbäume im Garten aus und überbaute sie im Spätherbst mit hölzernen Verschlägen, die im Frühjahr wieder abgetragen wurden. Temperiert wurden diese Bretterbuden mit Öfen. Diese Methode der so genannten abschlagbaren Pomeranzenhäuser setzte sich nun durch. Neben Zitruspflanzen wurde auch eine Vielzahl anderer, vor allem mediterraner Pflanzen in den Pomeranzenhäusern überwintert, wie Feigen, Oleander, Lorbeer, Rosmarin etc. Im abgeschlagenen Sommerzustand erweckten die ausgepflanzten „welschen Bäume“ den Eindruck eines mediterranen Zitrusgartens. Aber auch im Winter waren die Pomeranzenhäuser beliebter Aufenthaltsort für Spaziergänge oder Feste.
Die Pflanzen standen in der Regel in geometrisch angelegten Beeten, oft zierte ein kunstvoll gestalteter Brunnen den Hain wie z. B. im Heidelberger Herrengarten oder im Schlossgarten in Stuttgart. Die Blüten verströmten einen intensiven Duft, immergrüne Blätter sowie leuchtende Früchte erzeugten die Illusion eines immerwährenden Frühlings.
Die hohen Kosten und der Aufwand des Auf- und Abbaues dieser Gebäude aber auch das ästhetisch wenig ansprechende Äußere führten zu ersten Verschönerungen dieser Gebäude. Darüber hinaus entsprachen die ausgepflanzten Zitrushaine und die Schuppen ähnelnden abschlagbaren Pomeranzenhäuser nicht mehr den Ansprüchen der neuen barocken Gärten. Die Pflanzen wurden allmählich in transportablen Gefäßen kultiviert und überwinterten in festen Orangeriegebäuden, die nun Teil des Architekturprogrammes der Anlagen waren.
Mit der Kultivierung und der Überwinterung ging auch die botanische Erforschung der Pflanzen einher. Beschreibungen der Pflanzen, ihrer Eigenschaften und ihrer Kultivierung finden sich bereits bei den antiken, römischen Autoren. Zitrusmonographien erschienen ab dem 16. Jahrhundert. Die älteste ist die des Dichters Giovanni Pontano (1426-1503), der sein Werk De hortis hesperidum sive de cultu citri, 1505 publizierte und dem "erlauchtesten Fürsten Francesco Gonzaga, Herzog von Mantua" widmete. In lateinischen Hexametern sind gelehrte Anspielungen aus der Literaturgeschichte und der Mythologie verwoben mit den Hinweisen zur Zitruskultur.
In der Folge erschienen zahlreiche weitere Veröffentlichungen oft eingebunden in größere Ackerbaulehrwerke. Herausragend in Bezug auf Inhalt und Ausstattung ist das Werk des Jesuitenpaters Giovanni Battista Ferrari (1584-1655), der den Versuch unternahm, eine Ordnung in die Fülle der Arten und Sorten zu bringen. Unter dem Titel
De Hesperides sive de malorum aureorum cultura et uso
(Über die Hesperiden oder vom Anbau und Nutzen der goldenen Äpfel) veröffentlichte Ferrari 1646 in Rom eine umfassende Zitrusmonographie. Eingebunden in den Mythos vom Raub der goldenen Äpfel aus dem Garten der Hesperiden durch Herakles porträtiert Ferrari 79 verschiedene Zitrusarten und –sorten. Ergänzt werden die beschriebenen Pflanzen durch ganzseitige kunstvolle Kupferstiche der Früchte, deren Vorzeichnungen von bekannten Künstlern wie Pietro da Cortona, Nicolas Poussin oder Guido Reni stammen.
Ein halbes Jahrhundert später folgte der Nürnberger Kaufmann Johann Christoph Volkamer (1644-1720) Ferraris Beispiel. 1708 publizierte er in Nürnberg die erste deutschsprachige Zitrusmonographie
Nürnbergische Hesperides oder gründliche Beschreibung der edlen Citronat/ Citronen/ und Pomerantzen-Früchte
. Wie Ferrari bettet Volkamer seine Zitrusmonographie in den mythologischen Rahmen des Raubes der goldenen Äpfel aus dem Garten der Hesperiden durch Herakles ein. Des Weiteren behandelt Volkamer umfassend alle Aspekte der Kultur von Zitruspflanzen wie Substrat, Umtopfen, Düngung, Gießen, Schnitttechniken, Schädlingsbekämpfung etc. Das Werk hatte großen Erfolg und Volkamer veröffentlichte 1714 den zweiten Band unter dem Titel Continuation der Nürnbergische Hesperides.
Das wohl prachtvollste Werk des 19. Jahrhunderts ist die
Histoire naturelle des orangers
von Antoine Risso (1777-1845) und Pierre Antoine Poiteau (1766-1854), erschienen in Paris 1818-1822. Die beiden Autoren beschreiben 169 verschiedene Zitrusarten und –sorten sowie die Kultur der Pflanzen. In 109 Tafeln sind die Pflanzen in handkolorierten Punktstichen dargestellt.
Die Pflanzen schmückten jedoch nicht nur Gärten und Schlösser oder waren Thema botanischer Forschungen, sondern sie waren auch Motiv in der höfischen Kunst. Der Wunsch, die verderblichen Pflanzensammlungen zu dokumentieren sowie der dekorative Aspekt der Pflanzen und Früchte führten zu zahllosen Darstellungen in Kunst und Kunsthandwerk. Sie wurden blühend oder fruchtend in Gemälden porträtiert. Für die Aufstellung zu repräsentativen Zwecken erhielten die Pflanzen prachtvolle
Gefäße
. Auf der fürstlichen Tafel waren nicht nur frische Früchte zu finden, sondern sie schmückten auch als Relief oder gemalt als Dekor die Tafelporzellane. Glasfrüchte sind in Raumdekorationen zu finden, ebenso wie Fresken oder geschnitzte Holzfrüchte. Auf Münzen dargestellt, sollten Orangeriepflanzen den Ruhm des Herrschers mehren. Die Pflanzen waren bis weit ins 18. Jahrhundert Teil der fürstlichen Kunstsammlungen und wurden als solche präsentiert.