Schriftenreihe Orangeriekultur, Band 7
Nürnbergische Hesperiden und Orangeriekultur in Franken
Seit Jahrzehnten betätigt sich der Arbeitskreis Orangerien in Deutschland e.V. in der Forschung zur Orangeriekultur. Der 1993 in Potsdam neu gegründete gemeinnützige Verein ist hervorgegangen aus dem bereits seit 1979 in der ehem. DDR tätigen Arbeitskreis. Ziele des Vereins sind neben der denkmalpflegerischen Förderung der Orangerien vor allem auch die Erforschung, Wiederherstellung, Unterhaltung und Pflege historischer Orangerien, Gewächshäuser und der dazu gehörigen Anlagen sowie ein kontinuierlicher Erfahrungsaustausch.
Die 30. Jahrestagung des Arbeitskreises widmete sich der fränkischen Zitruskultur des 17. und 18. Jahrhunderts. Anlass war das 300-jährige Jubiläum der berühmten Publika-tion des Nürnberger Kaufmanns Johann Christoph Volkamer „Nürnbergische Hesperides“. 1708 wurde in Nürnberg der erste Band veröffentlicht, ein ambitioniertes Werk, in dem Volkamer alle ihm bekannten Zitrusarten und -sorten in großformatigen Abbildungen und Beschreibungen darstellte. Schon bald avancierte das Buch zum Standardwerk der Zitrusliteratur.
Im Jubiläumsjahr organisierte der Arbeitskreis in Zusammenarbeit mit der Forschungs-bibliothek Gotha und der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten eine Ausstellung kolorierter Blätter aus dem Besitz der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg auf Schloss Friedenstein in Gotha. In Zusammenarbeit mit dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, das sich mit dem Thema der Zitrusfrüchte in Kunst und Kultur im Rahmen eines Ausstellungsprojektes befasst, konnte im Folgejahr die zugehörige Fachtagung veranstaltet werden, deren Beiträge wesentlich dieser Band umfasst.
Johann Christoph Volkamer kultivierte in seinem Garten in Nürnberg-Gostenhof die „Früchte der Verheißung“ mit besonderer Hingabe. Der Inhalt des Bandes gliedert sich in vier inhaltliche Abschnitte. Im ersten Kapitel widmen sich die Autoren wissenschaftlich fundiert zunächst Johann Christoph Volkamers „Nürnbergische Hesperides“ und seiner Rezeption.
Dem langjährigen Leiter des Arbeitskreises,
Heinrich Hamann
, gelang es in seiner Funktion als ehem. wiss. Mitarbeiter in der Gartendirektion der damaligen Staatlichen Schlösser und Gärten in Potsdam, im Jahr 2000, ein Konvolut von 101 kolorierten Blättern des Volkamerschen Zitruswerkes für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten anzukaufen. In seinem Beitrag Johann Christoph Volkamers „Nürnbergische Hesperides“ würdigt H. Hamann die Biographie des Autors und den Garten in Gostenhof und geht auf Inhalt und Entstehung des Prachtwerkes ein. Die farbige Fassung steigert die exzellenten Pflanzen- und Genredarstellungen in ihrer Aussagekraft und verleiht ihnen eine besondere Brillanz – in den zahlreichen Abbildungen der kolorierten Kupferstiche, die bislang noch nicht veröffentlicht wurden, ist dies nachzuvollziehen.
Darüber hinaus leistet C. A. Wimmer – Funktion und Bedeutung von Volkamers „Nürnbergische Hesperides“ – eine wissenschaftlich exakte Analyse des Volkamerschen Zitruswerks unter besonderer Betrachtung der Familiengeschichte und des beruflichen Werdegangs des Autors. Anhand der figürlichen Titelabbildung (Frontispiz), der Auswahl von Thema, Zusammenstellung und Abfolge der Darstellungen wird die vielschichtige Metaphorik erklärt. Deutlich wird, dass die ungewöhnliche Verbindung der beiden Genres Pflanzenabbildung und Vedute bewusst gewählt war, um den Rang der Familie Volkamer gegenüber dem alten Nürnberger Adel zu behaupten und auch darüber hinaus die eigene Gartenschöpfung in gleiche Reihe mit den großen europäischen Anlagen zu stellen. Weiterhin klärt Wimmer die besondere Bedeutung des Buches als erste in Deutschland erschienene Monographie nur über Zitrus und deren innovativen Inhalt, in Bezug auf die Winterhäuser und Kulturanleitungen.
H. Palm und H. Rettich beschäftigen sich seit Jahren mit Forschungen zur Hofgärtnerfamilie Tatter in Hannover und zeigen in ihrem wissenschaftlichen Beitrag Ein Dokument der Arbeit des Hofgärt¬ners Georg Ernst Tatter um 1727 – Sein persönliches Exemplar von Volkamers Zitruswerk mit handschriftlichen Ergänzungen, dass diesem das Volkamersche Werk als viel benutztes Lexikon diente. Der Vermutung, dass Tatter sich an Volkamers „Nürnbergische Hesperides“ orientiert habe, folgte 2005 die Entdeckung eines persönlichen Exemplars, das die Bände I und II in einer Bindung vereint, jetzt im Besitz der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek/Niedersächsische Landesbibliothek Hannover. Besonders interessant ist, dass Hofgärtner Tatter das Volkamersche Werk mit Eintragun¬gen zur persönlichen Familiengeschichte und eigenen wissenschaftlichen Erkenntnissen ergänzt hat. Der Beitrag setzt sich aus mehreren eigenständigen Analysen zusammen, in denen neben Biographien und Bedeutung der Hofgärtnerfamilie auch die Erkenntnisse G. E. Tatters zur Kultivierung von Kaffee und Ananas im Gewächshaus in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext vorgestellt werden. In seinem Exemplar von Volkamers „Nürnbergische Hesperides“ hat Georg Ernst Tatter den Pflanzenabbildungen Hinweise zur Zitrussammlung der Sophienlust um 1727 hinzugefügt. Diese Notizen werden analysiert und ihre Aussagekraft für diese Zitrussammlung zusammengefasst. Es ergibt sich ein einzigartig unvermitteltes, autobiographisch, gartenpraktisch und botanisch-wissenschaftlich geprägtes Bild einer Pflanzensammlung und Gartenanlage. Tatters Exemplar ordnet die Sophienlust in den Reigen der in dem Buch vorgestellten Hesperidengärten, und Tatter sich in eine Reihe mit Volkamer ein. Abbildungen der handschriftlichen Vermerke und div. Seiten des Buches, zur Kaffee- und Ananaskultur ergänzen die Ausführungen.
Als Beispiel für die prägende Wirkung, die Volkamers Buch nicht nur auf die Gartenpraktiker hatte, sondern auch im deutschen Sprachraum entfaltete, wird das in Breslau gedruckte Werk des Caspar Wilhelm Scultetus durch C. A. Wimmer behandelt: Volkamers Rezeption in Schlesien. Ein Breslauer Zitruskatalog von 1731. Es handelt sich um einen Pflanzenkatalog, dem ein Frontispiz und zwei Widmungsgedichte sowie ein Gartengrundriss zugefügt wurden. Wimmer informiert über die Autoren und den Garten, der der prächtigste Breslaus gewesen sein soll, und analysiert die allegorische Bedeutung von Frontispiz und Widmungsgedichten. Er zeigt die unmittelbare Vorbildhaftigkeit des Volkamerschen Buches auf das bibliographisch besondere Werk des Scultetus.
Das Kapitel Nürnbergische Hesperiden vereint mehrere fachwissenschaftliche Aufsätze zur Gartenkultur in Nürnberg.
J. Martz zeigt in seinem Beitrag Zur Entwicklung der Zitruskultur in Nürnbergs Gärten – Von den Anfängen bis in das 19. Jahrhundert den hohen Stand der Nürnberger Gartenkultur, die die Entstehung nennenswerter Sammlungen von Zitruspflanzen begünstigte. Ein Kranz von Gärten um die Stadt entstand bereits seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, wurde kontinuierlich erweitert und die Anlagen vor allem immer intensiver ausgestaltet. Vorbildhaft für die Gärten und Pflanzensammlungen der Kaufleute waren vielfach italienische Anlagen und auch ihre Pflanzen. Zahlreiche Gartenanlagen, in denen es auch Überwinterungshäuser gab, werden erstmalig in Text und Bild und unter Auswertung archivalischer Quellen vorgestellt. Leider sind die meisten Gärten sowohl durch die Bebauung in Folge der Industrialisierung als auch durch den Zweiten Weltkrieg verloren. Abbildungen der ältesten Zitrus¬darstellungen im Nürnberger Raum (Codex Öllinger) und div. andere, frühe Gartendarstellungen ergänzen die Ausführungen.
Mit dem Irrhain des Pegne¬sischen Blumenordens in Nürnberg wird eine weitere Besonderheit Nürnberger Gartenschöpfungen dargestellt. Geradezu als Gegenbewegung zur sittlichen Verrohung in Folge des Dreißigjährigen Krieges entstanden in Deutschland Vereinigungen, die auf dem Gebiete der Sprache, Literatur, Sitte und Moral erneuernd wirken sollten. Neben der bekannten Fruchtbringenden Gesellschaft des Palmenordens in Anhalt-Köthen war dies auch der Pegnesische Blumenorden, der im Jahre 1644 in Nürnberg gegründet wurde. H. Wiegel – Der Pegnesische Blumenorden - eine Sprachgesellschaft des Barock und ihr Garten – schildert dessen Entstehung und Entwicklung und untersucht die Gestaltung und Historie des „Irrhains“, den Mitglieder der Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts anlegten. Dieser nicht höfisch begründete Garten ist von einzigartiger kulturhistorischer Bedeutung, da er sowohl das botanische Interesse der Gesellschaft als auch deren Intention zu belehren und zu erbauen zeigt und in der einmaligen Sonderform des Irrhains auf manieristische Einflüsse zurückgehen dürfte.
T. R. Rau präsentiert in seinem Beitrag Das Commercium Litterarium ein Commercium plantarum? Botanischer Wissensaustausch in der ersten medizinischen Wochenschrift Deutschlands wesentliche Erkenntnisse seiner jüngst erschienenen medizinhistorischen Dissertation. Die erste medizinische Wochenschrift Deutschlands, 1730 begründet, informierte über 15 Jahre die Fachöffentlichkeit sowie Gleichgesinnte über eine Fülle medizinisch relevanter Themen, somit auch der Botanik, die im Commercium mit unterschiedlichsten Themen präsentiert wurde. Es lassen sich die Möglichkeiten des botanischen Wissenstauschs und seine Schwerpunkte sowie in ihrer Zeit aktuelle wissenschaftliche Debatten ablesen.
Eingehende Würdigung erfährt auch die Orangeriekultur des Umlandes unter der Überschrift Orangeriekultur in Franken.
Ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit des Arbeitskreises Orangerien liegt in der Erfassung der Orangerien und historischer Gewächshäuser in Deutschland. N. Nordmann stellt in seinem Beitrag Orangerien und Gewächshäuser in Mittelfranken nach einem Überblick über die historische Entwicklung der Region topographisch Orangeriebauten und ihre Geschichte in Text und Abbildungen vor. Neben den bedeutenden Orangeriegebäuden in den markgräflichen bzw. fürst(bischöf)lichen Residenzen von Ansbach, Eichstätt, Erlangen sind dies die Orangerien der Deutschordensresidenz Ellingen sowie verschiedener reichsritterschaftlicher Anwesen, wie Dennenlohe, Pappenheim, Syburg und Unternzenn. Vielfach sind diese kultur- und gartenhistorisch wichtigen Baudenkmale in beklagenswertem Zustand.
Im Sommer 1998 wurde der Bastionsgarten der Willibaldsburg Eichstätt neu eröffnet. Für diese An¬lage hat man sich an dem berühmten Prachtwerk des „Hortus Eystettensis“ orientiert, in dem der Nürnberger Apotheker Basilius Besler im Auftrag von Fürstbischof Johann Conrad von Gemmingen die Pflanzenvielfalt seiner Eichstätter Lustgärten im Jahre 1613 publizierte. K. Buchner – Vom Hortus Eystettensis zum Bastionsgarten in Eichstätt – schildert aus erster Hand die Entscheidungen für Grundriss, Aufteilung und Pflanzensammlung, den Planungs- und Entstehungsprozess sowie die laufenden Unterhaltungsmaßnahmen an diesem neuen Garten, der sich bei den Besuchern großer Beliebtheit erfreut.
H.-E. Paulus geht es in seinem Beitrag Die Orangerie des Residenzschlosses Erlangen 1703-1714 vor allem um die assoziative Bedeutung des Gebäudes im Kontext der gesamten Schlossanlage und um die Analyse der Gesamtanlage aus Pflanzensammlung, Aufstellungsort, jahreszeitlicher Disposition der Pflanzen und zugehörigem Gebäude. Von dem beeindruckenden Ensemble aus zwei halbrunden, den Schlossvorplatz mit der Großen Fontaine („Hugenottenbrunnen“) rahmenden Gebäuden, deren Raumprogramm Orangeriesäle mit fürstlichen Appartements und der Concordienkirche ver¬band, ist in Erlangen nur ein Baukörper erhalten. Innerhalb der Orangeriebaukunst steht die amphitheatralische Anlage als relativ singuläre Erscheinung ohne direkte Vorläufer und Nachfolge. Neben der Geschichte der Anlage und architektonischer Vorbilder analysiert Paulus detailliert die Metaphorik der architektonischen und bildkünstlerischen Ausstattung; neuere Grabungsergebnisse werden einbezogen.
Als besonderes Beispiel einer Orangerie in Franken wird Der Pomeranzenhain und das abschlag¬bare Überwinterungshaus am Pompejanum in Aschaffenburg, 1839–1870, behandelt. Der Beitrag von J. Albert widmet sich dem erst im 19. Jh. entstandenen, abschlagbaren Winterhaus am Pompejanum, einer Schöpfung und Liebhaberei König Ludwig I., das nur 20 Jahre Bestand hatte. Der Autor zeichnet ein detailliertes Bild der Planungs- und Entstehungsge¬schichte, geht den Lebensläufen der handelnden Personen nach, konnte den spannungsreichen Weg des Pflanzentransports ausfindig machen und berichtet über Schwierigkeiten und Erfolge der Kultivierung der Pflanzen. Neueste Grabungsbefunde verifizieren die Umsetzung der Planungen.
Beiträge zum neuesten Stand der Orangerieforschung und Denkmalpflege runden den Band ab und bieten Anregung für die weitere Forschung.
Hierzu gehört die Untersuchung von C. Gröschel zur Orangerie- und Gartenkultur im Ortenburger Hofgarten. Der Ortenburger Hofgarten ist ein wichtiges Zeugnis einer kleinen reichsunmittelbaren Grafschaft abseits der großen Kunstzentren. Das abschlagbare Pomeranzenhaus, dessen Fundamentreste bei archäologischen Grabungen im Jahr 2004 entdeckt wurden, konnte durch neueste archivalische Untersuchungen der Autorin in seiner Existenz ab 1693 nachgewiesen werden. Nach den Akten können evidente Aussagen zu Anlagegeschichte, Pflanzenbestand und nicht vegetabiler Ausstattung getroffen werden. Auf Grund der technischen Ausführung mit Schiebedächern stellt das Ortenburger Pomeranzenhaus eine ungewöhnliche Weiterentwicklung des vom Gardasee stammenden Bautypus der Limonaia dar. Durch ein frühes Pflanzeninventar aus den Jahren 1693-1699 mit einem vielfältigen Bestand an Orangeriepflanzen kann die Autorin den intensiven Pflanzenhandel mit Pas¬sauer und Nürnberger Gärtnern dokumentieren.
Der Beitrag von D. Fetterová mit dem Titel Was unternehmen wir für die Rettung der Orangerien in Tschechien? beschließt die ausgezeichnet recherchierten Ausführungen des Bandes. Seit 1999 befasst sich die Autorin mit der Erforschung und Erfassung der Orangerien und Gewächshäuser in Tschechien. In einem kurzen Lagebericht stellt sie ihre Arbeit mit einem Gremium von Fachleuten vor, berichtet von ersten Sanierungs-Erfolgen und zeigt in zahlreichen Fotografien den Reichtum der Orangerien und historischen Gewächshäuser ihres Landes.
Der neue Band des Arbeitskreises Orangerien e.V. wird auf rund 200 vierfarbigen Seiten einen detaillierten und wissenschaftlich fundierten Überblick über die reiche Orangerie- und Gartenkultur des 18. Jahrhunderts in Nürnberg und Franken bieten. Die zahlreichen farbigen Abbildungen, allen voran die bislang unveröffentlichten handkolorierten Volkamer-Illustrationen, unterstreichen die besondere Qualität des Bandes. Das Anliegen, ein nur von Spezialisten erforschtes Thema ausreichend zu gewichten und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, kann hiermit nur nachdrücklich unterstützt und die Förderung der Drucklegung der exzellenten Fachbeiträge entschieden befürwortet werden.
Dieser Band wurde
mit freundlicher Unterstützung
gedruckt: