Die Orangerie in der Karlsaue in Kassel
Beitrag von Maren Brechmacher-Ihnen und Karl-Heinz Freudenstein
Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Cassel (1567 – 1582) hatte ein leidenschaftliches Interesse für die Botanik und die Sammlung seltener Pflanzen. Von den vielen Gärten in seinen Besitzungen war vor allem der Lustgarten auf der Fuldainsel mit dem Lusthaus und einem Pomeranzenhaus berühmt, welche ab 1568 unterhalb des landgräflichen Schlosses entstanden. Hier widmete sich der Landgraf mit besonderer Begeisterung der Pflanzenbeschaffung. Es wird berichtet, dass dort nicht nur einheimische Frucht- und Obstbäume, Sträucher und Blumen angepflanzt wurden, sondern auch „ alles Seltene der ausländischen Flora“. Der Hofgärtner Joachim Gille wird mehrmals im Winter nach Nürnberg geschickt, um Pflanzen und Zierelemente, d. h. Gefäße, Blumen und Figuren zu beschaffen. So soll Gille 1579 zum Beispiel „12 Pomeranzen Beum, 4 Arbores Adami, 4 Citronen, 6 Limonen [...]“ aus Italien in Nürnberg abholen.
1579 wurde von Wilhelm IV. der Neubau eines Pomeranzenhauses erwähnt. In einem Brief von 1583 an Graf Friedrich von Mömpelgerd beschreibt er folgendes Ereignis: “[…] kommt ein greuslicher Sturm windt und wirft uns das Pomerantzenhauß über ein hauffen, und wiewohl wir nichts anderes gedacht, die beum undt alle gewechse werden dahin, und an stucken zerschmettert sein, so seindt doch 8mirum dictu9 die miesten beum, Quasi unbeschedigt blieben, und als man die balcken und holzer abgeraumt, von sich selber widder aufstanden.“ Es wird vermutlich ein Gebäude mit einem steinernen Sockel gewesen sein, dessen hölzerner Oberbau durch den Sturm abgetragen wurde und deshalb sofort wieder Instand gesetzt werden konnte. 1606 wird dieses inzwischen vergrößerte Gewächshaus von Lupold von Wedel als ein Haus beschrieben, „da allerlei fremde Bäume gepflanzt und auch außerhalb umher kupferne Tinen gesetzet […]“. Er beschreibt das Gebäude als ein festes Bauwerk mit zwei Öfen und abschlagbarem Dach und bestätigt damit die obige Vermutung.
Offensichtlich brannte das Pomeranzenhaus im Renaissancegarten auf der Fuldainsel, welches in Folge komplett aus Holz und gänzlich abschlagbar war, mehrfach aus. 1688 wurde zum Beispiel einem Brand berichtet, bei dem nur 30 Pomeranzen gerettet werden konnten. Ebenso ist das Lustschloss vermutlich einem Brand zum Opfer gefallen, denn auf einem Katasterplan von 1686 ist stattdessen ein Gewächshaus eingetragen. Dieses wiederum brannte im August 1700 ab. Danach plante der regierende Landgraf Karl (1654/77-1730) eine weitläufige Parkanlage nach französischem Vorbild auf der Fuldainsel, welche bereits sein Großvater Landgraf Moritz vollständig in seinen Besitz gebracht hatte. In diesem Zusammenhang entstand ein Neubau, der gleichermaßen als Lustschloss und Pflanzenhaus diente und der bis heute erhalten geblieben ist.
Das 140 m lange Orangeriegebäude mit insgesamt 35 Fensterachsen besteht aus drei Pavillons, welche durch zwei eingeschossige Galerien miteinander verbunden sind. Von Anfang an beherbergten die beiden rechteckigen dreigeschossigen Eckpavillons die Wohnräume des Fürstenpaares. Ein achtseitiger zweigeschossiger Mittelpavillon diente als Durchgangs- bzw. Eingangshalle. In den beiden Galerieflügeln wurden die exotischen Orangeriepflanzen überwintert. Das Bauwerk wurde mit mehreren Veränderungen und Ergänzungen zwischen 1701 und 1739 errichtet. Dass das Orangerieschloss noch bis zum Ende des 18. Jahrhundert sowohl als Sommersitz der Herrscher und als auch als Pflanzenhaus genutzt wurde, war seinerzeit einzigartig. Bis heute dominiert die Orangerie den gesamten Garten in der Karlsaue, dessen Achsensystem aus Alleen und Kanälen vollständig auf den Mittelpavillon ausgerichtet ist.
Aus dem 18. Jahrhundert sind bisher keine Pflanzeninventare bekannt; jedoch findet sich in den Quellen ein Hinweis, dass 1723 in den im Orangeriegarten des ehemaligen Lustgartens nördlich der Orangerie, auf der Orangerieterrasse sowie in weiteren Teilen der Gartenanlage mehr als 1.000 Pflanzen aufgestellt waren. Ab 1750 existierte vermutlich ein eigenständiges Orangerie-Parterre vor der Südterrasse. Dieses wurde jedoch um 1790 zugunsten der Erweiterung des Boulingrins, der sogenannten Karlswiese wieder aufgelöst.
1760 entstand südöstlich des Orangerieschlosses ein weiteres Gebäude, welches in einem Plan von 1781 als Orangerie und Gewächshaus bezeichnet wurde. 1767 berichtet (Hofgärtner???) Schmincke :“[…] das neue Winterhaus ist voll der grössesten Orangeriebäume. Es empfängt durch 8 Öfen, davon sechs über, zwey aber unter der Erde sind, die gehörige Wärme, welche durch gewisse Canäle und Oeffnungen allenthalben hingeleitet und in einer beständigen Gleichheit erhalten wird“. Dieses Gebäude wurde 1880 ersatzlos abgerissen; damit verbunden war eine Reduzierung des Bestandes an Citruspflanzen.
Das früheste überlieferte Inventarium „Derer in der Herrschaftlichen Orangerie zu Cassel befindlichen Orange Lorbeer Bäume und verschiedene andere Gewächse in Kästen und Scherben“ stammt vom 12. Juni 1800. Darin sind zunächst Orangen und Lorbeerbäume bis zu 12 Fuß Höhe aufgelistet, insgesamt rd 150 Stk, Orangen und 40 Stk Lorbeerbäume. Es folgen die Pflanzen, die in Kästen und Töpfen vorhanden sind sowie Rosen und verschiedenen Blumenzwiebeln, die zu dieser Jahreszeit ausgepflanzt waren. Auffallend ist eine weitere Liste, die „Treib und Glaß Hauß Pflanzen, welche sich dermalen in der Herrschaftlichen Orangerie zu Cassell befinden - sämtlich in Scherben“ enthält. Diese Liste weist 181 Positionen verschiedener Gehölze, Stauden und Kakteen in jeweils kleinen Mengen auf.
Nach 1866 wurde die ausgeräumten Voraue, der ehemalige Lustgarten und das Orangerieschloss für mehrere Gewerbe-Ausstellungen genutzt. Ab 1913 fanden in der Orangerie bedeutende Kunstausstellungen statt. 1870 war das Gebäude Veranstaltungsort für Konzerte anlässlich des Beethoven-Jubiläums. Die Voraue verlor 1925/26 ihre gärtnerische Bedeutung; hier befindet sich seither eine Sportanlage, die heutige Hessenkampfbahn.
Während des 2. Weltkrieges wurde die Orangerie bei einem Luftangriff im Oktober 1943 zerstört. Die gesicherte Ruine diente während der Bundesgartenschau 1955 als Ausstellungsfläche und wurde in diesem Zustand auch 1959 während der Documenta II genutzt. Erst im Rahmen der Bundesgartenschau 1981 wurde die Ruine des Orangerieschlosses unter Verlust weiterer Originalsubstanz als Ausstellungsgebäude wiederaufgebaut. Die Galerien wurden nicht mehr als Überwinterungsräume eingerichtet. Zugleich wurden auch die Freiflächen im Vorfeld mit teilweise erheblichen Eingriffen in die originale Substanz historisierend umgestaltet. So entstanden zwei komplett neue Seitenterrassen und der historische Rasenstreifen vor der Brüstung der Hauptterrasse, welcher früher auch Standort von (versenkbaren) Kübeln war, verschwand völlig. Im Zuge des Wiederaufbaus des Orangerieschlosses wurden neue Kübelpflanzen beschafft, die während der Sommersaison im südlichen Vorfeld der Orangerie aufgestellt werden. Für die Überwinterung der Pflanzen wurde im gärtnerischen Betriebshof der Karlsaue ein neues Gewächshaus errichtet.
Im Rahmen der Planungen für ein Parkpflegewerk entstand 2004 ein Konzept für die Aufstellung der Kübelpflanzen auf dem Vorplatz der Orangerie. Dies war nötig, da 1981 Kübel und Kübelpflanzen ausgewählt wurden, für die es keine historische Nachweise gab: Streng geschnittene Kugellorbeer oder Phönixpalmen sowie Kübelumrandungen (Übertöpfe) um den eigentlichen Pflanzkübel entsprachen in keiner Weise dem historischen Vorbild. Abbildungen aus der Zeit um 1900 waren die Grundlage für die heutigen weißen Pflanzkübel und -kästen mit aufgemalten grünen „Spiegeln“. Die eckigen Pflanzkästen hatten je nach Pflanzengröße oder –art unterschiedliche Maße. Seit einigen Jahren fertigt die betriebseigene Schreinerei Pflanzkästen in der jeweilig passenden Größe an. Im Parkpflegewerk wurde auch die Farbgebung für die Pflanzgefäße festgelegt. Diese basiert ebenfalls auf farbigen Ansichten auf Postkarten aus der Zeit um 1910.
Aktuell werden die Pflanzkästen in vier Reihen präsentiert. Auf der Orangerieterrasse befinden sich direkt an den Gebäuden zwischen den Fenstern Eugenien. Die Eingänge werden von säulenförmigen Pflanzen von beachtlicher Höhe flankiert, je zwei links und rechts des Hauptportals. Davor befinden sich zwei weitere Reihen mit Kübelpflanzen. Gestaffelt nach Größe stehen in der ersten Reihe höhere Pflanzen, ganz gemischt (Oleander, Lorbeer, Punica, Aucube, Citrus). In der zweiten Reihe, die nahe der Terrassenbrüstung verläuft, sind etwas niedrigere bis kleine Citrus aufgestellt, die noch den Ausblick in die Parkanlage ermöglichen. Vom Bowlinggreen aus gesehen zeigt sich so eine höhengestaffelte grüne Pflanzung.
Unterhalb der Terrassenbrüstung sind in der dritten Reihe ausschließlich Citrus x aurantium (Bitterorangen) als Hochstämmchen aufgestellt. Wie in der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts stehen diese in großen eckigen Kästen, die zum größten Teil mit grün gefassten "Spiegeln" versehen sind. Ab 2013 wurde eine vierte Reihe Citrus mit kleinen Kästen (55 x 55x 45 cm) an der Rasenkante zum Bowlinggreen aufgestellt.
Weitere Informationen
Orangerieschloss Staatspark Karlsaue: www.museum-kassel.de »
Orangerieschloss Kassel
Foto Scheffler © 2016
Voraue, Anlage auf der Fuldainsel
im 17. Jahrhundert
Foto © XXXX
aus: XXXX
Orangerieschloss um 1900
Ansichtskarte © XXXX
Orangerieterrasse mit Citruskästen
Foto © XXXX
Orangerieschloss Kassel
Foto: xxxx © 2015
360°-Panorama |
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