Orangerien - Ein europäisches Kulturgut
Beitrag von Helmut-Eberhard Paulus
Sachlich betrachtet sind Orangerien besondere Gärten mit eigentümlichen Pflanzen und funktionsspezifischen Bauten, Orte der inszenierten Verschränkung von Natur und Kunst. Zumeist bildet ein literarisches, ein mythologisches, allegorisches oder philosoph-isches Programm die Grundlage ihrer gärtnerischen, architektonischen oder bildlichen Gestaltung. Aber auch schlicht die Darstellung ihrer botanischen Besonderheiten als sinnliches und geistiges Erlebnis oder die ästhetische Inszenierung als Gartenkunstwerk kann Anlass ihrer Entstehung sein.
Den Kernbestand von Orangerien bildet die Sammlung zumeist immergrüner und blühender Gewächse zunächst des Mittelmeerraumes, in späterer Zeit auch anderer südlicher Länder, deren Aufzucht, Präsentation und Überwinterung besonderer Kunstfertigkeit, Erfahrung und kontinuierlicher Pflege bedurfte. Dabei spielte die Bewältigung der Frostempfindlichkeit der Pflanzen eine durchaus maßgebliche Rolle, die sich in den zugehörigen Bauten niederschlug.
Im Mittelpunkt der
Pflanzensammlungen
in den Orangerien standen schon zu Beginn der Neuzeit solche Pflanzen, die man mit der griechisch-römischen Antike in Verbindung brachte, weil sie in der antiken oder humanistischen Literatur Erwähnung fanden oder weil man ihnen dort besondere Bedeutung zuschrieb. Stand in der frühen Zeit der Orangerien der Bezug zur Antike im Vordergrund, so spielte ab dem 18. Jahrhundert die mit den Pflanzen verbundene Exotik eine besondere Rolle. Im Mittelpunkt standen schon sehr bald die Zitrusgewächse, so zunächst die Zitronat-Zitrone (Citrus medica), später auch die Pomeranze (Citrus aurantium), die Limone (Citrus limon), die Orange (Citrus sinensis) und andere Zitrussorten, die durch ihre goldfarbenen Früchte, ihre leuchtend weißen Blüten und ihre immergrünen glänzenden Blätter besonders beeindruckten. Ihre Früchte wurden mit den Goldenen Äpfeln der antiken Mythologie, den Früchten des Paradieses oder Symbolen in klassischen epischen Werken identifiziert. Das Spektrum reichte von der Gleichsetzung mit den Goldenen Äpfeln der Hesperiden im Herkules-Mythos über die Gleichsetzung mit der Frucht des ewigen Lebens bis zur bildhaften Verkörperung des Mythos vom Goldenen Zeitalter.
Orangerien wurden insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert zu inszenierten Allegorien in der Verschränkung von Kunst und Natur, bestehend aus gärtnerischen und architek-tonischen, malerischen und plastischen Elementen, bisweilen auch unter Einbindung der Wasserkünste und theatralischer Effekte. In der höfischen Welt des 17. und 18. Jahrhunderts wurden sie zu Stätten gesellschaftlicher Veranstaltungen, individueller Selbstdarstellung, fürstlicher Repräsentation, lehrreicher Anschauung, empirischer Naturkunde und philosophischer Kontemplation. Um die Pflanzensammlungen und deren Präsenta-tion entwickelte sich eine regelrechte Orangeriekultur, die über die gärtnerische Pflege und die Überwinterungstechnik in sogenannten Kalthäusern hinaus, auch über den Austausch botanischer Erkenntnisse und die architektonische Inszenierung in Lusthäusern und regelrechten Orangerieschlössern hinaus eine eigene Geisteskultur einschloss. Orangeriekultur schlug sich als Präsentationskultur in den Künsten und im höfischen Zeremoniell, im Schlossbau und im bürgerlichen Brauchtum, nicht zuletzt in einer eigenen Sparte der Literatur und graphischen Darstellung nieder.
Im Lauf des 17. und 18. Jahrhunderts war aus einer humanistisch geprägten Garten-kultur eine Metapher gesellschaftlicher Kommunikation geworden, die erst in der späten Aufklärung sich aller Bedeutungsträgerschaften wieder entledigte und zum reinen Natur- und Sinneserlebnis zurückfand. Häufig blieben dabei von den Orangerien nur noch die Winterungshäuser, die Orangenhäuser oder Lustgebäude erhalten. Die gärtnerischen Elemente fielen dabei zumeist der mangelnden Pflege oder auch der bewusst gebrochenen Tradition zum Opfer.
Es gibt nahezu unzählige Formen und Varianten an Orangerien, unterschieden nach der Pflanzung im Grunde oder in beweglichen
Pflanzgefäßen
, auch differenziert nach der Überwinterung in abschlagbaren oder feststehenden Häusern. Gerade die Mobilität der Pflanzen vermochte völlig neue Dimensionen der Gestaltung oder Verwendung als Attri-but zu eröffnen. Sommerstellplätze variierten vom anspruchsvollen Parterre bis zum Boulingrin, vom geometrischen Stellplatz bis zum rasenüberzogenen Teatro, in dessen Cavea die Zitrusbäumchen gestellt wurden. Überwinterungshäuser wandelten sich zu sommerlichen Lustgebäuden, wurden zum integralen Bestandteil fürstlicher Residenzen oder reichsständischer Klöster, entwickelten sich zum wesentlichen Element im Ensemble der Schlossbauten oder gar zu selbständigen bewohnbaren Orangerie-Schlössern.
Als botanische Besonderheiten stehen Orangerien bis heute im Zusammenhang besonders anspruchsvoller
Kultivierung und Pflege
. Symbolhaft steht die Orangerie für eine individuelle Sparte der Kultivierung menschlichen Geistes in der Auseinander-setzung mit dem Wandel von Natur in Kunst, der Metamorphose der Natur in den Jahreszeiten, der Frage nach dem geschichtlich erfahrbaren Wandel im Verhältnis zur Sehnsucht nach dem Ewigen, wie er die europäische Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart immer wesentlich geprägt hat. Die Orangeriekultur ist ein europäisches Kulturgut, das die Gren-zen des Sächlichen, auch des Architektonischen, Bildlichen und Gärtnerischen bei weitem überschreitet, das in den Kenntnissen und Fähigkeiten nur personell von Generation zu Generation weitergegeben werden kann, so wie es über Jahrhunderte von Menschen entwickelt, also im klassischen Sinne kultiviert wurde.
Die Denkmale der Orangeriekultur haben sich auch als Bauten zum großen Teil nur fragmentarisch erhalten. Kenntnisse und Erfahrungen aus den über Generationen erhalten gebliebenen Anlagen ermöglichen jedoch die Aufschlüsselung des erhaltenen Bestands, dessen Ergänzung und in manchen Fällen auch dessen Reaktivierung. Der
Arbeitskreis Orangerien in Deutschland
hat sich daher zum Ziel gesetzt, die Kenntnisse um Orangeriekultur zu bewahren und zu mehren, erhaltene Anlagen in ihrem Bestand zu sichern und in Vergessenheit geratene Orangerieanlagen für die Allgemeinheit zurückzuholen. Der Vermittlung der Orangeriekultur kommt hierbei eine ebenso zentrale Aufgabe zu, wie der Einflussnahme auf die praktische Denkmalpflege, um teilweise verschüttete Reste nicht aus Unkenntnis der Zerstörung preiszugeben, sondern als bereichernde Kenntnisse der Wissenschaft wie der Praxis zuzuführen.
Titel-Kupfer Volkamer 1708
Reprint 1986
Foto © AK Orangerien e.V.
aus: Bd. 13 Schriftenreihe
Orangeriekultur, Titelbild
Foto © AK Orangerien e.V.
Muse mit Pomeranzenfrucht
Ausschnitt Deckengemälde Teehaus Orangerie Altenburg
Foto © Jens Scheffler 2016